Level 076: Descent

Es gibt dankbarerweise nicht allzuviele Computer- und Videospiele, die einem den Mageninhalt rotieren lassen. Meist passiert das eher unfreiwillig, wenn man zum Beispiel gezwungen wird, ein neues 3D-Sonic zu spielen. Hin und wieder liegt es aber auch einfach daran, dass die Spiele einen mit komplett unerwarteter Bewegungsfreiheit konfrontieren – Spiele wie das 1995er „DESCENT“.

Vielen herzlichen Dank an Chefdesigner Matt Toschlog und den damaligen Apogee-Chef Scott Miller für die geduldige Beantwortung all meiner Fragen!

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Textauszug:

Es ist irgendwie immer das Gleiche: Ein Spiel erscheint, wird unerwartet erfolgreich, der Rest der interaktivedingeentwickelnden Welt denkt sich “WhaaaAAAAT? Aber dat können wir doch auch!” – und schickt eine mörderische Flut von mal mehr, mal weniger billig hingematschten Kopien hinterher, um sich an dem schönen Geruch von geldgefüllten Badewannen erfreuen zu können. Das beste Beispiel dafür ist vermutlich “Doom”, dessen gigantischer Abklatsch-Tsunami seinerzeit aus gutem Grund unter dem Begriff “Doom-Klone” zusammengefasst wurde. Aber es gibt immer wieder mal, selten, aber immer wieder mal, einzelne Entwicklungsstudios, die sich angesichts der uniformen Massen hinsetzen und introspektiv fragen, ob da nicht noch mehr geht. Wie zum Beispiel mehr Bewegungsfreiheit. Und kaum ein Spiel stand Mitte der 90er mehr für bewegungsfreie Ballereien als “Descent”.

“Descent” als Gesamtkunstwerk steht auf den Schultern von zwei hauptverantwortlichen Personen: Mike Kulas und Matt Toschlog. Mike hatte den Erstkontakt mit der Wunderwelt der Computer Ende der 70er Jahre, als er den Mikrocomputer “TRS-80” der Tandy Corporation in die Hände bekam. Auf dem er dann auch schnell zu programmieren begann, was aber aufgrund des aufgezwungenen und sehr unzuverlässigen Kassettenlaufwerks seiner Aussage nach alles andere als ein Spaß war. Also legte er sich 1981 einen Apple 2 mit Floppy-Laufwerk zu, was sein Leben einschneidend veränderte: Er schmiss sein Studium hin und bewarb sich 1984 als Programmierer bei einer in Champaign im amerikanischen Bundesstaat Illinois ansässigen Firma namens “Sublogic”, wo er als erstes an einem Spiel namens “Police Chase Dispatcher” arbeitete. Währenddessen entwickelte er aber ein schlechtes Gewissen, ging zurück zur Uni, programmierte erstmal nur nebenbei, und machte seinen Abschluss. Mit dem in der Tasche werkelte er eine Zeit lang an Bildungssoftware herum, bevor er wieder zu Sublogic zurückkehrte, um dort an der “Flight Simulator”-Serie zu entwickeln, für die die Firma zu diesem Zeitpunkt bereits berühmt war. Die sich kurz darauf dann aufspaltete, genau genommen im Jahr 1988, nämlich in Sublogic und BAO, der “Bruce Artwick Organization”, was hochkreativ nach dem Gründer des Unternehmens benannt ist, wo der “Flight Simulator” dann erst so richtig abhob…

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18 Gedanken zu „Level 076: Descent

      1. Danke für den „Descent“-Beitrag! Wie immer tief recherchiert und mitreißend vorgetragen! Und bitte, bitte, bitte schenke deinen Jüngern eines Tages einen Freespace-Beitrag! Dieses Game halte ich für die beste Raumkampfsimulation und angesichts der Konkurrenz soll das schon etwas heißen. 🙂

  1. Hallo Paul. wie immer eine sehr gut recherchierte Folge!

    Nur ein kleines Detail: woran machst du fest, dass Overload „die Fan-Gemeinde spaltete“? Nur auf Grund der unterschiedlichen (ohnehin sehr rar gesäten) Wertungen in der Spielepresse?

    Aus meiner (natürlich sehr subjektiven) Innen-Sicht der „Fangemeinde“ hat damals eher Descent 3 die Gemeinde gespaltet, welches das gleiche Grund-Spielprinzip im Detail schon sehr anders interpretiert hat als Teile 1 und 2 zuvor, und dem man sehr deutlich anmerkt, dass ein Teil der Entwickler von früher fehlt und dafür andere reinkamen.

    Die Erfahrungen mit Overload zeigen eher, dass es die beiden Lager wieder zusammenführen kann, obwohl es sich klar mehr an D1/2 orientiert. Das Problem mit Overload ist eher, dass es als eine Indie-Produktion mit stark begrenztem Budget und komplett ohne Publisher und – wie von Matt in deinem Interview schon angesprochen – ohne das etablierte „Descent“-Trademark medial wenn überhaupt dann nur als Randnotiz vorkam und ansonsten in der Flut der 10’000 Titel, die jährlich auf Steam erscheinen, unterging. Wenn heutzutage ein neuer Spieler zu Overload findet, ist die Standardsituation normalerweise so etwas wie „Hab‘ das Spiel gerade durch Zufall entdeckt, war früher riesiger Descent-Fan und hatte keine Ahnung, dass es Overload gibt“.

    1. Moin!

      Vielen lieben Dank für dein Feedback! Eine schnelle Erläuterung:

      Descent 3 war war schon polarisierend, wurde aber zumindest von den Wertungen her immer noch überwältigend positiv aufgenommen – siehe zum Beispiel hier: https://www.mobygames.com/game/descent_/mobyrank. Während Overload nach oben und nach unten ausreißt (https://www.metacritic.com/game/pc/overload/critic-reviews) – deswegen meine Hypothese der Spaltung.

      Und das Schicksal von Overload ist eh eine traurige Geschichte: Das ging in dem ganzen Rummel um das „offizielle“ neue Descent total unter, obwohl es sehr viel mehr sehr viel richtiger gemacht hat. Ich glaube, ich habe in der Folge gar nicht richtig rübergebracht, wie sehr sich Matt im Nachhinein darüber geärgert hat, dass sie nicht um ihren Original-Titel gekämpft haben. Unter dem Namen „Descent“ hätte Overload am Markt vermutlich eine ganz solide Chance gehabt – so ist es aber unnötig untergegangen.

      Beste Grüße,
      Paul

  2. Ein toller Podcast zu einem Spiel, mit dem ich nie warm geworden bin. Ich habe es aber einmal mit dem VFX1-Helm auf einer Messe gespielt. Die Auflösung und die Motionsickness sind dabei nicht einmal das Problem. Auf der Messe gab es leider kein Trustmaster-Hotas-System, so dass man mit einem normalen Joystick und Tastatur spielen muss. Die komplexe Bedienung des Spiels erfordert dann das Umgreifen auf der Tastatur, was nicht geht, wenn man den Helm trägt, weil man die Tastatur nicht mehr sehen kann. Unter Zeitdruck blind die H-Taste zu suchen, während man mitten im Getümmel ist, bringt dann den Spielspaß zum Abschuss.

    1. Moin Sebastian!

      Oh Gott – das klingt echt nach einem der innersten Kreise der Hölle. Bin echt froh, dass ich das Spiel so nicht erlebt habe. Das hätte die Erfahrung gründlich verätzen können…

      Beste Grüße!
      Paul

    2. Naja, Descent lässt sich wunderbar über Joystick + Keyboard spielen (mach ich seit Jahrzehnten so), aber wenn man das erste mal spielt, oder ein anderes Setup gewohnt ist, ist es natürlich schwer. Die VFX1-Version hab ich nie selbst erlebt. Ich hab nur DXX-Rebirth mal auf ne Occulus Rift DK1. ner HTC Vive sowie ner stereoskopischen 5-Seiten-Cave erlebt (Das wird aber nicht direkt von der Software unterstützt, da war noch ein Software-Layer dazwischen, der die OpenGL-Render-Kommandos abgefangen und entsprechend modifiziert und verfielfacht hat.). Auf mich wirkt VR und Stereoskopie aber immer nur wie ein Gimmick, an dem man sich schnell sattgesehen hat. Wirklich als das Spielerlebnis bereichernd empfinde ich das irgendwie nicht.

      1. Moinsen!

        Es ging ja um die Kombination „VR-Helm + Keyboard, das man nicht sieht“ – und das stelle ich mir wahrlich schrecklich vor. Ansonsten war Flightstick + Keyboard natürlich im Grunde alternativlos. 🙂

        Was Stereoskopie angeht: Hast du seinerzeit mal „Magic Carpet“ in dem Echtzeit-Autostereoskopiemodus ausprobiert? Das war mal abgefahren! Komplett unspielbar natürlich, aber als technisches Experiment höchst interessant…

        Beste Grüße!
        Paul

  3. Hallo Paul,
    vielen Dank für diese super interessante Folge. Hatte damals das Spiel auf de PSX und war auch völlig baff von den Möglichkeiten des freien Fliegens.
    Damals waren 3d-Spiele für mich eine ganz neue Erfahrung. Ich hatte da auf der PSX nur noch Doom und vorher auf dem Mega Drive Zero Tolerance. Und danach gleich Descent… Ein Wunder, ich habe es tatsächlich durchgespielt, so sehr hat es mich gefesselt.
    Obwohl es mir wirklich sehr gut gefallen hat sind leider alle Nachfolger mehr oder weniger an mir vorbeigegangen. Aber dein Podcast hat wirklich Lust gemacht, mal die ganze Reihe zu zocken. 🙂

    Viele Grüße
    Sascha

    1. Moin Sascha!

      Sehr gerne doch – vielen fröhlichen Dank fürs Lob!

      Was das Weiterspielen angeht: Die Originale erfordern natürlich speziell optische Gewöhnung – wenn du einfach nur an dem möglichst originalgetreuen Spielerlebnis interessiert bist, dann empfehle ich wirklich, einen Blick auf „Overload“ zu werfen. Das macht da sehr vieles sehr gut, und sieht auch echt schnieke aus.

      Beste Grüße!
      Paul

  4. Wieder eine schöne Folge, wieder eine Wissenslücke weniger 🙂
    Hast du eigentlich auch längerfristige Pläne mit den Interviews, die du mit den Entwicklern führst? Hast du vor die irgendwann irgendwie zu veröffentlichen, oder bleiben die im Archiv? 🙂

    Noch eine ganz andere Frage: Du kennst nicht zufällig die Spieleserie Clonk? Unbeschreiblich tolle Spiele, die leider allem Anschein nach immer mehr in Vergessenheit geraten und über deren Entwicklungsgeschichte auch gar nicht so viel zu lesen ist. Da wäre ein Entwicklergespräch mal richtig spannend! Aber wie gesagt, eben sehr „nischig“ mittlerweile.

    Viele Grüße!

    1. Moin Syrion!

      Vielen fröhlichen Dank!

      Was die Interviews angeht: Aktuell habe ich keine weiterführenden Pläne damit, und zwar vor allem aus zwei Gründen:

      1.) Müsste ich für eine Veröffentlichung jeweils eine explizite Genehmigung anfragen, was ich bislang natürlich nicht getan habe. Bzw. nur ein Mal. Siehe weiter unten.

      2.) Bin ich nicht sicher, wie viel Sinn eine Veröffentlichung tatsächlich hätte. Denn ich führe ja keine Interviews im klassischen Sinne, also keine Gespräche, die sich thematisch entwickeln sollen – sondern ich stelle sehr gezielte Fragen, die Punkte beantworten sollen, die ich in meiner eigenen Recherche nicht selbst beantworten konnte. Wenn wir das Gespräch per Skype/Zoom/Teams führen, ist das natürlich etwas anders, da sich dann natürlich ein Gesprächsfluss ergibt. Aber zumeist läuft das per E-Mail oder Messenger, wo ich Fragen stelle, diese Fragen beantwortet werden, ich im Zweifelsfall noch Nachfolgefragen stelle, und mir dann aus all den Resultaten die Infos für die jeweilige Episode raushole. Hier mal ein Beispiel <-- da hatte ich explizit eine Veröffentlichungsgenehmigung. Lange Rede, kurzer Sinn: Weiß nicht, wie sinnvoll eine Veröffentlichung wirklich wäre.

      Clonk: Den Namen hatte ich irgendwo tief im Hinterkopf – aber eine kurze Suche hat mir bestätigt, das ich das leider nie selbst gespielt habe.

      Beste Grüße!
      Paul

      1. Vielen Dank für die Erklärung und ganz genrell, dass du immer so freundlich in den Kommentaren präsent bist!

        Das verstehe ich gut. Ich denke da vor allem an die Nachwelt, die ja für jede neue Primärquelle dankbar ist. Aber ich kann mir auch gut vorstellen, dass es die Dynamik der Interviews, Fragesessions, etc. verändern würde, wenn man immer auch gleich explizit eine Veröffentlichungsgenehmigung haben möchte.

        Oh, das ist sehr tragisch, dass du mit Clonk keine Berührung hattest!
        Es ist übrigens mittlerweile Freeware und ganz großartig zu mehreren an einem PC spielbar. Nur, falls.im Leben irgendwann mal wieder zu viel Zeit übrig ist!

        Clonkige Grüße zurück!

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